Elternzeit – Zwischen Windeln, Wünschen und Wirklichkeit

Als systemische Beraterin begegne ich vielen Menschen, die mit großen Erwartungen in die Elternzeit starten – und sich wenig später in einem emotionalen Dschungel aus Selbstzweifeln, Beziehungskrisen und gesellschaftlichem Druck wiederfinden.

Elternzeit klingt so sanft – wie ein Versprechen: mehr Zeit für das Wesentliche, Nähe zum Kind, ein Innehalten in der sonst so schnellen Welt. Doch in der Realität fühlt sich Elternzeit oft ganz anders an. Deshalb möchte ich heute einen ehrlichen Blick darauf werfen – und Impulse geben, wie wir in dieser Zeit nicht nur für unser Kind, sondern auch für uns selbst da sein können.

1. Elternzeit ist keine Pause – sondern ein Perspektivwechsel

Viele gehen mit der Idee in die Elternzeit: Jetzt wird alles ruhiger. Doch Elternzeit ist kein Urlaub, sondern ein radikaler Rollenwechsel. Plötzlich wird der Tag von Stillzeiten, Babybrei, Schlafrhythmus und Tränen strukturiert – oft auch von der eigenen Überforderung.

Systemisch betrachtet bedeutet dieser Rollenwechsel: Das ganze Familiensystem verändert sich. Aus dem Paar wird ein Elternteam. Aus individuellen Bedürfnissen wird ein Balanceakt. Und manchmal – leider viel zu oft – geraten dabei die Partnerschaft oder das eigene Ich aus dem Blick.

„Ich habe mich noch nie so gebraucht – und gleichzeitig so unsichtbar gefühlt.“

(Aussage einer Klientin)

2. Die unsichtbare mentale Last – besonders bei Müttern

Gerade Frauen erleben in der Elternzeit, wie die sogenannte „mentale Last“ wächst. Sie denken an alles – von den nächsten Impfungen über die Windelvorräte bis zur nächsten Geburtstagskarte für die Schwiegermutter. Das kann zermürben.

In der systemischen Beratung frage ich dann oft:

Wer trägt was in diesem Familiensystem – und wer trägt es vielleicht alleine?

Hier entstehen oft heilsame Gespräche über Gleichwertigkeit, geteilte Verantwortung und das Recht auf Pausen – auch in der Elternzeit.

3. Zwischen Nähe und Enge – das Spannungsfeld Partnerschaft

Kaum ein Paar, das nicht überrascht ist, wie herausfordernd Elternzeit für die Beziehung sein kann. Schlafmangel, Reizüberflutung, unterschiedliche Vorstellungen über Erziehung – all das bringt Konflikte an die Oberfläche.

Meine Einladung als Beraterin: Seht eure Beziehung nicht als Baustelle – sondern als lebendiges System, das sich neu sortieren darf. Konflikte sind kein Zeichen von Scheitern, sondern von Entwicklung.

4. Und wo bleibe ich? – Die verlorene Selbstfürsorge

Viele Mütter (und auch immer mehr Väter!) berichten: „Ich habe mich selbst verloren.“

In der Elternzeit geraten die eigenen Bedürfnisse oft unter die Räder – aus Liebe, aus Pflichtgefühl oder schlicht aus Erschöpfung.

Hier arbeite ich gerne mit einem systemischen Bild:

Wenn du das Feuer für andere wärmen willst, musst du auch selbst Holz nachlegen.

Selbstfürsorge ist keine Egozentrik, sondern gelebte Verantwortung.

Impulse für deine Elternzeit

  • Tauscht euch als Paar regelmäßig aus – nicht nur über das Kind, sondern über euch.
  • Fragt euch: Welche Rollen sind neu entstanden – und wie fühlen sie sich an?
  • Gebt euch gegenseitig Freiräume, auch wenn sie kurz sind.
  • Holt euch Unterstützung – sei es von Freunden, Familie oder Beratung.
  • Erlaubt euch, nicht perfekt zu sein. Elternzeit ist nicht die Zeit der Superhelden, sondern der echten Menschen.

Fazit

Elternzeit ist eine Lebensphase voller Emotionen, Herausforderungen – und Chancen. Wenn wir sie nicht nur als Funktionieren im Alltag begreifen, sondern als gemeinsame Entwicklung im Familiensystem, kann sie tief verbinden und wachsen lassen.

Als systemische Beraterin sehe ich es als meine Aufgabe, Räume zu schaffen, in denen diese Prozesse bewusst und liebevoll begleitet werden.

Wenn du gerade in der Elternzeit bist oder dich darauf vorbereitest:

Du bist nicht allein. Du musst es nicht alleine schaffen. Und du darfst dich dabei nicht verlieren.